Ist das noch meine Kirche?

Kategorie(n): Allgemein

Diese Frage haben in diesem Jahr bis Ende April fast 100 Angehörige der Pfarrei Hl. Geist Jülich mit „Nein“ beantwortet und ihren formalen Austritt erklärt. Wenn diese Entwicklung anhält, werden wir in diesem Jahr mehr Austritte als Beerdigungen haben und die Zahl der Pfarrangehörigen wird unter 18.000 fallen

Quelle: Bistum Aachen

In der Vergangenheit waren die meisten Kirchenaustritte durch die Höhe der Kirchensteuer motiviert. Die Austrittswelle von 2014 folgte auf die Vorgänge um Bischof Tebartz-van Elst wegen Falschaussage unter Eid und unkontrolliert explodierender Baukosten, die heftige Kritik am innerkirchlichen Umgang mit Vermögen hervorriefen. (Details: https://de.wikipedia.org/wiki/Franz-Peter_Tebartz-van_Elst)

Weitere hohe Austrittszahlen stehen in den letzten Jahren vor allem im Kontext der Missbrauchsfälle und deren Vertuschung.

Im Rahmen der Aufarbeitung des Skandals um Kindesmissbrauch und um dessen Vertuschung im Bistum Aachen wurde im November 2020 das unabhängige Gutachten zu den Ursachen und Verantwortlichkeiten veröffentlicht.

Im März 2021 folgte das Erzbistum Köln. Diese und andere Gutachten bescheinigen dem System Kirche ein beispielloses Ver-sagen, das das Vertrauen in das System Kirche zutiefst erschüttert:

  • Der Erhalt des guten Rufes war wichtiger als der Opferschutz und der Schutz vor neuen Missbrauchsfällen.
  • Die Täter wurden geschont, die Opfer bekamen kaum Beachtung und kämpfen ein Leben lang mit einem Trauma – wenn sie ihrem Kämpfen nicht schon durch Drogenabhängigkeit oder Suizid ein Ende gesetzt haben.
  • Die Akten-Dokumentation wurde widerrechtlich manipuliert; belastendes Material wurde vernichtet.
  • Der Klerikalismus (die Überhöhung des Weiheamtes bis hin zur Unantastbarkeit und Immunität) förderte das Wegsehen ebenso wie das Verhältnis zur Sexualität, die im Allgemeinen verdrängt wird und der Bedrohliches anhaftet.

Ausführlicher sind die Ursachen nachzulesen im Aachener Gutachten, bes. Teil X „Empfehlungen“, unter: https://westpfahl-spilker.de/aktuelles

Übrigens haben diese „Offenbarungen“ der jüngsten Kirchengeschichte auch mich schockiert und fassungslos gemacht. Ein solches systemisches Versagen hatte ich mir bis dahin nicht vorstellen können. Und so hatte auch ich mir die Frage gestellt, ob das noch „meine“ Kirche ist. Mittlerweile stelle ich die Frage anders herum: Wenn ich mit meinen christlichen Idealen so falsch denke, dann muss mich die Kirche aus ihrer Gemeinschaft ausschließen.

Anlässlich der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals haben wir als Kirche ein paar umfassende Hausarbeiten zu erledigen. Und damit können wir als Kirche vor Ort anfangen:

  • Wie schützen wir Kinder u.a. vor Gewalt?
  • Wie gehen wir mit dem Thema Homo-/Sexualität und überhaupt mit der Geschlechter-Frage um?
  • Wie kommen bei uns Meinungsbildungen und Entscheidungen zustande und wie sieht die Macht-Kontrolle aus?
  • Wie ist die Rolle von geweihten Amtsträgern in unserer Pfarrei? Was ist gesund und was ist klerikalistisch?
  • Wie können wir dazu beitragen, die großen „Hausaufgaben“ aus dem Aachener Gutachten in unserer großen Kirche mit anzugehen?

Mit diesen Aufgaben sind wir nicht alleine unterwegs, es gibt schon gute Ansätze:

Anlässlich des Aachener Gutachtens überlege ich, was wir konkret tun können, und lade Gleichgesinnte herzlich ein, mit zu überlegen.

„Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit“, meinte Dom Hélder Câmara, Erzbischof in Brasilien (+1997). Christ-Sein lebt nach meiner Überzeugung davon, dass man sich nicht arrangiert mit dem Unrecht der Gegenwart, sondern die Welt immer mehr im Sinne des Evangeliums gestaltet – wozu die kirchliche Glaubensgemeinschaft eigentlich ein Werkzeug sein sollte.

Wer sich also mit den Zuständen in unserer Kirche nicht zufrieden geben will und sich Gedanken um deren Veränderungen macht, möge sich bitte bei mir melden, dass wir uns bald in irgendeiner Form treffen, Gott um Seinen Geist bitten und konkret überlegen. Ich freue mich!

Josef Wolff, Leiter der Pfarrei und GdG Hl. Geist