Mit brennendem Herzen

Kategorie(n): Allgemein

Der große Rucksack mit Kerzen, Kreuzen, Rosenkränzen, Zigaretten, Kinderspielzeug … steht immer griffbereit neben der Tür. Denn im Notfall bleibt keine Zeit, die Erste-Hilfe-Mittel zusammenzusuchen. Erste Hilfe für die Seele, so umschreibt Albert Dreyling sein Ehrenamt. Seit rund 10 Jahren ist der Welldorfer ehrenamtlicher Notfallseelsorger für den Kreis Düren. Als solcher betreut er Menschen in schweren, belastenden Lebenssituationen, etwa bei Verkehrsunfällen, plötzlichem Kindstod, häuslichen Todesfällen, der Überbringung von Todesnachrichten, Suizid oder ähnlichem.

Die Anfänge dieses Engagements liegen im Jahr 2005, als Albert Dreyling selbst in eine schwere Lebenskrise geriet. Innerhalb kurzer Zeit verlor er damals alles Materielle und Emotionale, was es zu verlieren gibt. Während eines Klinikaufenthaltes kam es zu einer Begegnung, die seinem Leben eine entscheidende Wende gab. Eine Seelsorgerin sagte ihm den alles verändernden Satz:

Sie dürfen schwach sein. Als sie das gesagt hatte, brauchte ich keine Therapie mehr,

so Albert Dreyling.

Dieser Satz ist zu meinem Lebensmotto und zu meinem Halt geworden.

Um diese Botschaft anderen Menschen vermitteln zu können, absolvierte er die 1-jährige Ausbildung zum ehrenamtlichen Notfallseelsorger. Seither gehört er zum ca. 50-köpfigen Team der Notfallseelsorge Düren. Sie wird getragen von der Katholischen und der Evangelischen Kirche und arbeitet u.a. auch mit muslimischen Seelsorgern. Pro Woche übernehmen zwei Kollegen 24-Stunden-Bereitschaft, je einer im Nord- und einer im Südkreis. Um die belastenden Ereignisse selbst aufzuarbeiten, treffen sich die Ehrenamtlichen regelmäßig zur Supervision.

Eine belastende Situation ereignete sich kürzlich in einer Klinik, wo Albert Dreyling ein junges Elternpaar betreute. Ihr 3-jähriges Kind war bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen. Als Dreyling im Krankenzimmer eintraf, schaukelte die Mutter gerade ihr totes Kind in ihrem Arm.

Nun war es meine Aufgabe als Notfallseelsorger, die Eltern zu betreuen. Ich musste sie auch darauf vorbereiten, dass die Polizei kommt und Fragen stellt und dass sie nachher das Kind an einen Bestatter abgeben müssen.

Dreyling blieb noch mehrere Stunden bei den Eltern, versuchte die Situation gemeinsam mit ihnen zu erfassen. Er segnete das Kind, betete mit Eltern und Großeltern und begleitete das Kind, seine Hand haltend, zum Leichenwagen. In einer solchen Situation wüssten betroffene Menschen oft nicht mehr, was Realität sei, weil sich die Gefühle überschlügen. Die Reaktionen reichten von Schock, über Wut oder Hass bis hin zu Schuldgefühlen. Dabei sei es wichtig, immer wieder zu sagen:

Du bist nicht allein, du darfst sein, wie du bist, du darfst schwach sein. Es gehe darum, zu helfen und das auszuhalten, was auszuhalten ist,

so Dreyling.

Dennoch betont er, dass es sich bei der Notfallseelsorge lediglich um eine Erste-Hilfe-Maßnahme handele, die als solche zeitlich begrenzt sei.

Wenn der Notarzt kommt, wird er auch nicht die Krankheit behandeln, sondern versuchen, das Leben des Patienten durch bestimmte Maßnahmen zu erhalten. Wir Notfallseelsorger tun fast nichts anderes: Wir versuchen, die Seele der Menschen zum Leben zu animieren.

Dafür dauere der Aufenthalt bei den Betroffenen in der Regel zwischen 1 ½ und 7 Stunden.

Wenn wir merken, dass wir wieder eine kontrollierte Situation haben, bereiten wir unseren Abschied vor.

Über all die Erlebnisse und Begegnungen in der Notfallseelsorge hat Albert Dreyling einen tiefen Glauben entwickelt.

Die Einsätze nehmen mir Existenzängste

, weiß er zu berichten.

Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod, ich habe keine Angst mehr vor dem Sterben, weil ich weiß, dass Gott da ist in diesen Situationen. Vielleicht können wir ihn nicht erkennen, aber er ist da. Und manchmal gelingt es uns Notfallseelsorgern sogar, diesen Glauben an Betroffene weiterzugeben.

Weil Seelsorge das Leben verändern könne, empfinde er nach jedem Einsatz eine große Dankbarkeit. Dreyling ist überzeugt, dass er mit seinem Engagement in guter christlicher Tradition steht: Jesus hat uns das vorgelebt: Er hat sich um die Menschen gekümmert, denen es dreckig ging. Auch deshalb mache ich meinen Dienst mit brennendem Herzen. Übrigens: Die Klinikseelsorgerin von damals und Albert Dreyling arbeiten heute in der Notfallseelsorge als Kollege und Kollegin zusammen.

www.notfallseelsorge.de

Mareike Jauß