„Zuerst den Menschen sehen“

Kategorie(n): Allgemein
hande
Foto: AK Asyl

Einen Termin bei ihr zu bekommen, ist gar nicht so leicht. „Ich bin eine viel beschäftigte Rentnerin“, lacht die sympathische Dame ins Telefon. Das kann man wohl sagen:

Seit 30 Jahren engagiert sich Frau Bittmann mit anderen in der Flüchtlingsarbeit, hat u. a. den Arbeitskreis Asyl mitbegründet. Das neueste Projekt dieses Kreises: Das „Café Contact“. Jeden 1.+3. Donnerstag im Monat (Ferien ausgenommen) besteht für Flüchtlinge und Asylbewerber im Dietrich-Bonhoeffer-Haus (Düsseldorfer Str. 30) von 14.30 Uhr bis 16.30 Uhr die Möglichkeit, sich bei Kaffee und Kuchen zu treffen, auszutauschen und Hilfe unterschiedlicher Art zu erhalten.

Obwohl der Arbeitskreis bereits neue Mitglieder gewinnen konnte, fehlt es noch immer an Helfern im Café, vor allem an jüngeren Menschen. „Wir brauchen dringend Unterstützung bei der Kinderbetreuung“, berichtet Frau Bittmann. Aber auch auf andere Weise könne man punktuell Hilfe leisten, beispielsweise bei der Bewirtung oder durch Gespräche, bei denen sich oft Möglichkeiten der Einzelfallhilfe ergäben. Besonders gesucht seien Deutsche mit Fremdsprachkenntnissen. „Die Verständigung ist oft so schwierig. Die Menschen können unsere Sprache nicht und wir ihre nicht. Wenn ein Flüchtling Englisch oder Französisch kann, ist das für beide Seiten eine große Hilfe.“ Wer im Café Contact mithelfen wolle, müsse auch nicht jedes Mal dabei sein, sondern könne sich seinen Wünschen entsprechend in einen Einsatzplan eintragen lassen, betont Frau Bittmann.

Auf dem Tisch liegen zwei Lehrbücher, „Albanisch-Deutsch“ und „Serbisch-Deutsch“- für Anfänger. Gleich kommen die Albanerin Mara* und die Serbin Ana*. Frau Bittmann hilft den beiden beim Erlernen der deutschen Sprache und bei Alltagsproblemen. (* Namen geändert)

Wie es den Flüchtlingen in Deutschland ergeht, kann die gebürtige Jülicherin gut nachempfinden. Nach der Evakuierung 1946 waren sie und ihre Familie in einem Dorf bei Jülich zwangsuntergebracht. Sie erinnert sich: „Die Leute mochten uns nicht und zeigten uns das sehr deutlich.“ Sie habe kein Kind zum Spielen in ihre „Bruchbude“ mitnehmen können und sei glücklich gewesen, wenn sie zum Spielen oder gar zu einer Mahlzeit eingeladen wurde. Mit ihrem Vater sei sie oft mit einem „Bollerwagen“ über die Dörfer gezogen, um bei den Bauern zu betteln. Manchmal habe sie ihn weinen sehen, weil er wieder schroff abgewiesen wurde.

Einige Jahrzehnte später habe eine Predigt des damaligen Jülicher Kaplans sie wach gerüttelt: „Er sagte, dass die Flüchtlinge – diese kamen 1985 aus Sri Lanka – nicht wie Lazarus von den Brosamen leben sollen, die von den Tischen der Reichen fallen.“

In diesem Moment habe sie sich an ihre eigene Flüchtlingszeit zurückerinnert. „Und da stand für mich fest: Ich will den Flüchtlingen zeigen, dass ich nichts gegen sie habe“, beschreibt die ehemalige Lehrerin ihre Motivation. „Ich habe so viel Gutes in meinem Leben erfahren und durfte so viele Vorzüge genießen. Ich hätte ein schlechtes Gewissen, wenn ich dies nur für mich selbst und für meine Familie nutzen würde.“

Das Telefon klingelt. Der Bürgermeister lässt ausrichten, dass er zur Jubiläumsfeier des Arbeitskreises kommen und Grußworte an die Gäste richten werde.

„Wenn man anderen hilft, bekommt man Dankbarkeit zurück“, fährt Frau Bittmann fort, „warum begreifen das so viele nicht?“ Ihr sei es wichtig, zuerst den Menschen im Flüchtling zu sehen und nicht denjenigen, der nicht arbeite, den man nicht „gebrauchen“ könne und der eine Belastung darstelle.

Die beiden Familien, die Frau Bittmann als Einzelfall unterstützt, haben ihr Land und ihre teils schwerkranken Eltern verlassen, weil sie als Roma und Muslime immer wieder massiv attackiert wurden, ihre Arbeit verloren und weil ihre Kinder dort keine Zukunft hätten. „Wer von uns würde denn schon die Heimat und seine Angehörigen verlassen, wenn es nicht einen ganz wichtigen Grund dafür gäbe?“, appelliert Frau Bittmann an das Verständnis der Bevölkerung.

Menschen, die sich einbringen wollen, könnten die Flüchtlinge bei Alltagsproblemen unterstützen, mit ihnen zum Arzt oder zu Behörden gehen oder sie einfach mal einladen.

„Zeit schenken ist wohl das Wichtigste“, lächelt Frau Bittmann, während sie Ana und Mara die Tür öffnet. Die beiden jungen Frauen umarmen sie und sagen strahlend: „Thank you – Danke!“ Frau Bittmann strahlt ebenfalls und verabschiedet mich, denn es gibt noch viel zu tun.

Pastoralassistentin Mareike Jauß